Scripted Reality ist seit der Jahrtausendwende ein stetiger Begleiter der deutschen Fernsehlandschaft geworden. Es ist ein Sendeformat, welches eine Dokumentation vortäuscht und in der Laiendarsteller nach Skriptvorlage improvisieren. Diese Art von Sendungen füllt auf vielen deutschen TV-Sendern einen großen Anteil der Sendezeit und erreicht regelmäßig konkurrenzlose Einschaltquoten und geringe Produktionskosten im gleichen Zuge. Das dabei die Qualität auf der Strecke bleibt, sollte als rhetorische Frage verstanden werden. Eine Umfrage des internationalen Zentralinstitut für das Jugend- und Bildungsfernsehen ergab, dass unter 861 Schülern zwischen 6- 18 Jahren knapp ein Drittel diese Sendungen für die absolute Wahrheit halten. Das Ergebnis sollte wahrlich zum Nachdenken anregen. Ob damit nicht eine fragwürdige Vermischung aus Fiktion und Realität entsteht, die die Wahrnehmung der Kinder grundlegend missbraucht? Über was sich nicht streiten lässt, ist die Tatsache, dass sich realitätsnahe Doku-Soaps augenscheinlich mit Erfolg über Social Media vermarkten lassen. Damit sollen die Grenzen zwischen Realität und Fiktion weiter weichen, was am Beispiel „Berlin Tag & Nacht“ von RTL2 ganz deutlich zu sehen ist. Dem gegenüber stehen aber auch immer wieder gescheiterte Versuche, Social Media erfolgreich in TV-Shows einzubinden, wie die abgesetzte Sendung „Gottschalk live“.

Gottschalk Live und Berlin Tag und Nacht

Thomas Gottschalk, der TV-Master und jahrelang das Gesicht von „Wetten, Dass…?“, versuchte es nach seinem Aus als Wettkönig der Herzen Ende Dezember 2011 mit einer neuen Sendung namens „Gottschalk live“, die auf ARD ausgestrahlt wurde. Die erste Folge wurde schon im Januar 2012 ausgestrahlt und nach nur 135 Tage wurde diese wieder abgesetzt. Was lief schief? Die Sendung war eine halbstündige Talkshow im Vorabendprogramm, die durch die Integration der Zuschauer und Fans via Social Media an Fahrt gewinnen sollte. So wurden Fragen von Zuschauern über aktuelle Themen „live“ beantwortet, aber auch die Teilnahme an Diskusionen mit Personen des öffentlichen Lebens war möglich. Doch scheiterte das Vorhaben kläglich, da die Teilnahme und die Qualität der Fragen äußerst dürftig waren. Die Glaubwürdigkeit des 62-jährigen Gottschalk, der das Format teilweise nicht erwartungsgerecht vertreten konnte und immer wieder an seine Grenzen mit dem Umgang der Technik stieß, ließ die Einschaltquoten einbrechen. So gelang es nicht, eine frische und junge Idee des Konzeptteams mit einem erfahrenen und erfolgreichen Moderator zu verbinden. Dabei war immer wieder ein Hauch von Überforderung und Unsicherheit bei Gottschalk zu verspüren.

Gottschalk Live Social Media

Spöttisch berichteten die Medien über den holprigen Start der Sendung. Im Social Web wurden Stimmen laut, „Gottschalk live“ sollte direkt abgesetzt werden. So geschah es dann auch. Am 6. Juni 2012 ging das Format zum letzten Mal auf Sendung. Heute hat die noch bestehende Facebookseite insgesamt 28 Fans. In der nachfolgenden Grafik, kann man die einbrechenden Einschaltquoten pro Sendung ablesen.

Einschaltquote Gottschalk Live

Ein anderes TV-Konzept scheint etwas erfolgreicher die sozialen Medien zu nutzen, denn die Fanseite von „Berlin Tag & Nacht“ hat rund 2.5 Millionen Fans. Bemerkenswert ist dabei, dass davon rund 250.000 Facebook-User über die Soap sprechen, was einer enormen viralen Wirkung entspricht. Auch wenn „Gottschalk live“ und „Berlin Tag & Nacht“ zwei grundlegend verschiedene Formate darstellen, haben sie einige Gemeinsamkeiten. Denn als die Berliner Scripted Reality Sendung am 12. September 2011 zum ersten Mal auf Sendung ging, hatte RTL2 schwer mit ihren Einschaltquoten zu kämpfen. Nach 15 Folgen und einem Marktanteil von lediglich 4,6% in der Zielgruppe von 14- bis 49-Jährigen blieben die Erwartungen hinter den Standardquoten von rund 10% weit hinter den Erwartungen von RTL2 zurück.

Änderungen mussten her, um die Attraktivität der Doku-Soap über das Leben der vier Berliner Wohngemeinschaften zu erhöhen und das Scheitern des Konzeptes zu verhindern. So bediente man sich Facebook und eröffnete eine offizielle Fanpage zur Sendung, die ab da regelmäßig tiefe Einblicke in das WG-Leben gewährte. Das besondere daran war, dass die Laiendarsteller in ihrer Rolle auftraten und weiter das Gefühl vermittelten, dass das Partyleben mit den ganzen dazugehörigen Intrigen wirklich so stattfindet. Das Konzept ging auf und schon im Dezember stiegen die Einschaltquoten auf 9,2% in der Zielgruppe und auch die Facebookseite erlebte einen wahren Boom. Momentag besitzt die Seite rund 2,5 Millionen Fans und Tendenz ist weiter steil nach oben. (Grafik: Facebook-Fans von August 2012 bis Januar 2013)

Grafik Social Media TV

Der Erfolg beruhte auf der Glaubwürdigkeit der Posts und den Inhalten, die der Facebook Community damit geliefert wurden. Meist werden Bilder aus dem Leben der WGs geposted, die formatgerecht, also laienhaft, mit Handykameras aufgenommen werden. Die Texte, die den Bildern folgen, sind zielgruppengerecht formuliert. Ob die teilweise äußerst skurrilen Handlungen der Serie nicht besser gekennzeichnet werden sollten, mit etwa einem Claim wie „Don´t Try This At Home“, sollte teilweise doch öfters zur Debatte stehen. Immer wieder werden Stimmen laut, die mit der Kennzeichnung der Sendung nicht zufrieden sind. Nur ein kleiner Hinweis im Abspann deutet darauf hin, dass jegliche Personen und Geschichten frei erfunden sind.  

Berlin Tag und Nacht Dokusoap

Obwohl „Gottschalk live“ und „Berlin Tag & Nacht“ zwei verschiedene Formate mit grundlegend unterschiedlichen Voraussetzungen sind, haben sich an der Implementierung von Social Media in ihrer Sendung versucht. Die eine Sendung mit etwas mehr Anspruch, die andere mit etwas weniger Anspruch an sich und deren Inhalte. Dennoch zeigt dieses Beispiel, dass vor allem die Authentizität im Social Web und die Nähe zu den Usern und die dadurch entstehende Kommunikation von äußerster Wichtigkeit ist. Wer versucht, im sozialen Netz jemand zu sein, der er nicht ist, muss entweder extrem ausgefuchst sein oder scheitert kläglich am Spürsinn der Community. Denn die Frage lautet nicht to be or not tobesocial, sondern eher how tobesocial.

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