Die Bilder von protestierenden und kämpfenden Revolutionären in Großteilen der arabischen Welt sind hinlänglich bekannt. In Tunesien und Ägypten konnten die diktatorischen Regime bereits erfolgreich gestürzt werden, wohingegen die oft blutigen Auseinandersetzungen u.a. in Syrien, Katar, Jemen und vor allem in Libyen allgegenwärtig zu sein scheinen.

Aber was geschieht aktuell in Spanien? Was sind die Hintergründe, was die Ziele der spanischen Revolution im Mai 2011? Welchen Einfluss haben die sozialen Medien auf die Protestbewegungen und den Wahlkampfboykott der spanischen Bevölkerung? Drohen nun Social Media Revolutionen in ganz Europa?

Grafik spanische Revolution

Am 22. Mai 2011 standen in Spanien die Regional- und Lokalwahlen auf dem Programm. In insgesamt 13 von 17 autonomen spanischen Gemeinschaften wurden die Regionalparlamente neu gewählt. Parallel dazu standen ca. 8.000 Bürgermeisterämter zur Wahl. Doch bereits im Vorfeld der Wahlen bildeten sich in über 60 Städten Protestbewegungen, die erreichen wollten, dass etwa 100 unter Korruptionsverdacht stehende Politiker von den Wahllisten gestrichen werden sollten.

Die Bürgerrechts-Organisation „Democracia Real YA“ (auf Deutsch: „echte Demokratie JETZT!“) rief über Facebook, Twitter und Blogs auf, die Regionalwahlen komplett zu boykottieren. „Wählen Sie nicht!“ war der eindeutige Slogan, mit dem man die Bevölkerung von den Wahlurnen fernhalten wollte. Aber war das wirklich der einzige Grund, der Studenten, Arbeitslose, Akademiker und Bauarbeiter auf die Straße getrieben hat? Oder sitzt der Stachel der Entrüstung gar viel tiefer, als man aus der Ferne auf Anhieb vermuten kann?

Während man in den aktuellen Medien zwar grundsätzlich mit einigen oberflächlichen Informationen über die spanische Revolution 2011 versorgt wird, fischt man hinsichtlich der genauen Protesthintergründe weitestgehend im Trüben.

Hintergründe zu den Protesten und den Zielen der Demonstranten finden sich natürlich auch und in erster Linie auf dem Blog der Bürgerrechts-Organisation unter http://democraciarealya.es. Die Organisation hat sich u.a. die Beseitigung der Privilegien der politischen Klasse, den Kampf gegen die Arbeitslosigkeit (aktuell ca. 20%, Jugendarbeitslosigkeit sogar 45%), das Recht auf Wohnen, einschlägige Verbesserungen im Dienstleistungssektor, die Einrichtung einer Kontrollinstanz für Banken, eine gerechtere Steuerpolitik, Freiheit und Volksabstimmungen für eine „echte“ Demokratie sowie eine Reduzierung der Militärausgaben auf die Fahnen geschrieben.

Aber welchen Einfluss haben die sozialen Medien auf die spanische Revolution? Gibt es einen ähnlichen Zusammenhang zwischen der Organisation der Protestbewegung und den reellen Demonstrationen auf den Straßen Madrids, Barcelonas & Co. wie bei den Revolutionen in der arabischen Welt? Wo und Wie mobilisieren und organisieren sich die Demonstranten?

Infografik Facebook spanische Revolution

Aktuell nutzen knapp 14 Mio. Spanier das Social Network Facebook, d.h. 30% der Gesamtbevölkerung. Das Verhältnis von Männern und Frauen ist nahezu ausgeglichen. Eindrittel der Facebook-Nutzer ist zwischen 25-34 und jeweils etwas mehr als 20% stammen aus der Altersklasse zwischen 18-24 sowie 35-44. Als wichtigste Facebook-Seiten hinsichtlich der Protestbewegung wurden Democracia real Ya mit 369.369 Fans und Spanish Revolution mit 153.212 Fans ausgemacht. Tendenz steigend!

Die Dialoge um und über die spanische Revolution finden allerdings nicht nur auf den wichtigsten Facebook Seiten, sondern auch zwischen den Facebook-Mitgliedern weltweit statt. Innerhalb Europas herrscht eine sehr intensive Kommunikation zwischen Spaniern mit Briten, Franzosen und Italienern. Ebenso intensiv ist die Kommunikation auch nach Nord-, Mittel- und Südamerika sowie in die Karibik. Erste Auswirkungen dieser Kommunikationsverknüpfungen zeigen sich schon an ersten Protestbewegungen in Frankreich sowie vereinzelten Solidarisierungen in ganz Europa. Die Konversationen finden aber nicht nur über Facebook statt, auch über Blogs, Foren, Twitter und YouTube wird intensiv diskutiert.

Grafik Besucherwachstum Social Media

Über twitter.com loggten sich im ersten Quartal 2011 täglich über 400.000 (Januar 2010: ca. 170.000) eindeutige Besucher aus Spanien ein. youtube.com knackte zum Jahreswechsel 2010/11 die 4 Millionen-Marke (Januar 2010: ca. 2,5 Mio.), facebook.com gar die 8 Millionen-Grenze (Januar 2010: ca. 4 Mio.). Direkt über es-es.facebook.com melden sich tagtäglich weitere 2 Mio. Spanier (Januar 2010: 500.000) in der beliebtesten Community der Welt an. Bei allen sozialen Netzwerken ist eine steigende Tendenz deutlich zu erkennen.

Grafik Follower Wachstum Twitter

Ein enormes Wachstum konnten besonders die in direktem Zusammenhang mit der spanischen Revolution stehenden Twitterkanäle @acampadasol, @democraciareal, @dryGranada, @BarcelonaRealYa und @Dry_Sevilla verzeichnen. Die Twitter-Accounts aus Grenada und Sevilla wachsen gemächlich, aber konstant und haben jeweils etwa 2.000 Follower. Der Kanal der katalonischen Protestbewegung in Barcelona explodiert seit dem 20. Mai 2011 und steigt stetig auf mittlerweile über 5.000 Follower. @acampadasol ist der Twitterkanal der Demonstranten aus der Hauptstadt Madrid und erreicht Ende dieses Monats über 60.000 Menschen und @democraciareal fast 80.000 Follower. Und was wird getwittert?

Grafik Twitter Tag Trends Spanische Revolution

Zu den #Tag Trends während der spanischen Revolution gehören #spanishrevolution, #democraciarealya, #acampadasol und #democraciareal, d.h. diese Begriffe werden im Zusammenhang mit den Protesten besonders häufig getweeted. Eben jene Schlagwörter erlebten seit Revolutionsbeginn am 15. Mai einen riesigen Schub. Auffällig sind die Ausreißer am 27. Mai 2011. Das ist dadurch zu erklären, dass die Polizei die Demonstranten und Camper an diesem Datum gewaltsam vom Plaza de Cataluña in Barcelona entfernten. Insgesamt wurden bei dieser blutigen Aktion über 120 Menschen verletzt.

Laut der Aussage von Manel Prat Generaldirektor der katalanischen Polizei, war die Räumung deswegen nötig, weil eine Sauberkeit des Platzes gewährleistet werden muss und die Zufahrtswege für Reinigungsfahrzeuge durch Demonstranten versperrt waren. Madrid und Barcelona sind allerdings nicht die einzigen Städte, in denen aus Protest gecampt wird.

Grafik Spanische Revolution Landkarte

Die Karte zeigt die iberische Halbinsel mit all den Orten, an denen offiziell demonstriert und gecampt wird. Weltweit, so wird geschätzt, existieren aktuell knapp 700 Plätze, die durch revolutionäre Kräfte organisiert werden. Eine hohe Konzentration befindet sich nahe der Hauptstadt Madrid, rund um Barcelona und entlang der Mittelmeerküste. Der größte revolutionäre Campingplatz Spaniens ist aktuell der Puerta del Sol in Madrid, gefolgt vom Plaza de Cataluña in Barcelona.  Täglich kommen nicht nur in Europa neue Camps hinzu. Ist das erst der Anfang einer europäischen Protestbewegung?

Grafik Google Keywords Spanische Revolution

Eine Bekräftigung der These, dass es sich bei der spanischen ebenfalls um eine Social Media Revolution handelt, ist die Tatsache, dass die wichtigen Schlagwörter, die in unmittelbaren Zusammenhang mit dem 15. Mai stehen, über die Suchmaschine google Spanien verhältnismäßig selten gesucht werden. Beispiele für Keywords sind „acampada“ (33.100x pro Monat gesucht), „15 de mayo“ (14.800) oder gar „spanish revolution“ (260). Zum Vergleich: „facebook“ wird in der spanischen Version von google monatlich 124 Mio. mal gegoogelt, „youtube“ 45,5 Mio. mal und „twitter“ 2,7 Mio. mal. Spanische Influencer aus den sozialen Medien bestätigen die Vermutung, dass die Suche nach Informationen sowie die Kommunikation rund um die spanische Revolution fast ausschließlich über Twitter, Facebook und Co. verläuft, anstatt über Suchmaschinen oder Webseiten.

Grafik Suchbegriffe spanische Revolution nach Regionen

Betrachtet man die einzelnen Schlagwörter daraufhin, wie sie kommunal gegoogelt wurden, so fällt auf, dass „democracia real ya“ und „democracia real“ am häufigsten in die Suchmaschine eingegeben wurden. Besonders oft suchten Bürger aus La Coruña diese Begrifflichkeiten, gefolgt von den Bewohnern aus Valencia, Bilbao, Sevilla, Barcelona und Madrid.

Grafik Regionen spanische Revolution Google Suche

Eben diese revolutionären Keywords wurden, regional gesehen, in Saragossa, Galizien, Asturien und Valencia vergleichsweise oft in die Suchmaske von google Spanien eingegeben.

Die Demonstrationen und mittlerweile sogar blutigen Auseinandersetzungen in Spanien zeigen deutlich, dass die Bürger genug von den Politikern, den politischen Vorgaben aus Brüssel sowie den korrupten Machenschaften der Banken haben. Die Bürger haben durch die sozialen Medien eine neue und gewichtige Stimme bekommen. Sie nehmen die oftmals undurchsichtigen Entscheidungen der Politiker nicht mehr kommentarlos hin. Proteste und Aktionen werden über die sozialen Medien geplant und organisiert, aber letztlich auf der Straße umgesetzt.

Das aktuellste Beispiel einer revolutionären Social Media Aktion ist der über die sozialen Netzwerke aufgerufene Boykott und Protest gegen die Bankenbranche. Alle Spanier wurden via Facebook, Twitter & Co. aufgefordert, am Montag, den 30. Mai 2011, einen Betrag in Höhe von 155,- Euro von ihrem Konto abzuheben. Der Betrag steht symbolisch für den 15.5., also den Tag, als die Demonstrationen in Spanien begannen.

Es bleibt abzuwarten, ob die Revolution weiter um sich greift und letztlich zu massiven Veränderungen in der spanischen Arbeits- und Strukturpolitik führt. Erste Wellen dieser Protestbewegungen schwappen derweil schon nach Frankreich über. Ob ähnliche Demonstrationen oder gar Revolutionen in ganz Europa denkbar sind, ist zum jetzigen Zeitpunkt schwer zu sagen. Fakt ist, dass es aktuell auch in Irland und Griechenland massiv brodelt und die Kommunikation und Organisation über Social Media stattfindet. Wie sich die Portugiesen infolge ihrer schweren Wirtschafts- und Finanzkrise verhalten, ist ebenfalls schwer zu prognostizieren. Und dass die Deutschen auch bereit sind, für ihre Vorstellungen von Demokratie auf die Straße zu gehen, haben „Stuttgart21“ und die Anti-Atomkraft-Bewegung gezeigt.

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